Hand in Hand

Milena Jenni* ist verzweifelt: Schmerzen rauben ihr den Schlaf, sie ist erschöpft, der Alltag wird zur Tortur – nichts ist mehr, wie es einst war. Das Tagebuch über ihren Weg raus aus der Krise, zurück ins Leben.

2. April

Heute hat Theo Fussballmatch. Ich würde alles geben, ihn anzufeuern. Aber das schaffe ich nicht. Mein Akku ist leer, schon wenn ich morgens aufstehe. Ich schlafe seit Monaten kaum noch. Ausserdem machen mich meine Schmerzen am Handgelenk fertig. Theo, mein Kleiner, ich drücke dir vom Sofa aus die Daumen!

8. April

Als Teenager habe ich mir das linke Handgelenk gebrochen, drei OPs, alles schrecklich kompliziert. Die Verletzung heilte, der Schmerz blieb. Es folgten unzählige Therapien. Alle vergebens. Ich arrangierte mich mit der Situation. Aber seit ich Kinder habe und die Belastung zugenommen hat, ist der Schmerz heftiger geworden – und macht mich reizbar. Wie eben: Ich bin ausgerastet, nur weil Ben beim Englischbüffeln «Countryside» dreimal falsch geschrieben hat.

12. April

Mist. Wieder falsche Zahlen in meiner Kundenpräsentation. Meine Müdigkeit, Unkonzentriertheit und Gereiztheit fallen langsam auf – meiner Chefin und auch meiner Familie. Mein Mann sagt, ich sei ihm fremd geworden. Er drängt mich, professionelle Hilfe zu suchen. Ich vereinbare einen Termin bei meiner Hausärztin.

18. Mai

In der ersten Konsultation vor vier Wochen hat mir meine Hausärztin ein Schmerzmittel und ein leichtes Schlafmittel verschrieben. Nichts hat gewirkt. Ich bin am Ende. Meine Hausärztin überweist mich an ein spezialisiertes Zentrum und schreibt mich bis auf Weiteres krank. Mich, die immer von allen für ihre Energie und Lebensfreude bewundert wurde!

1. Juni

Besuch im Zentrum für Schmerz, Schlaf und Psyche (SSP), das zu ZURZACH Care gehört. Beim Erstgespräch befragt mich mir der Arzt und Psychiater zu den bisher durchgeführten medizinischen Untersuchungen. Und er erklärt mir, wie mich das SSP auf verschiedenen Ebenen begleiten wird, um besser mit Schmerzen und Stress umzugehen und wieder Schlaf zu finden. Wir reden ausführlich über Vor- und Nachteile von schmerzdistanzierender Medikation. Ich entscheide mich gegen eine medikamentöse Therapie. Jetzt erwartet mich eine Vielzahl anderer, gut koordinierter Therapien.

6. Juni

Mein zweiter Kontakt am SSP war beim Orthopäden. Er untersuchte nicht nur mein Handgelenk, sondern meinen ganzen Körper. Heute bin ich im Behandlungszimmer nebenan, beim Schmerzanästhesisten. Er bespricht mit mir meine Medikation. Sein Vorschlag: eine PRP-Plasmatherapie. Das ist eine moderne Eigenbluttherapie bei Schmerzen. Ich starte damit noch diese Woche. Auch mit einer Psychotherapie.

9. Juni

Schwerpunkt meiner Psychotherapie ist Stressbewältigung. Denn: Stress und Schmerz hängen unmittelbar zusammen. Weniger Stress, weniger Schmerzen. Das erklärt mir meine Psychologin heute in unserer ersten Sitzung. Wir vereinbaren gleich die nächsten Termine.

14. Juni

Meine Psychologin hatte mich bei ihrem Kollegen für eine neuropsychologische Untersuchung angemeldet. Er klärte ab, ob ich an ADHS leide. Dieses ist anscheinend auffallend oft die Ursache für Überbelastung im Job. Bei mir nicht: Ich habe kein ADHS, aber eine Neigung zu mässigen Konzentrationsstörungen.

27. Juni

Ich treffe am SSP den Schlafmediziner und staune, wie gut er über mich Bescheid weiss. All die Therapeutinnen und Ärzte hier scheinen sich bestens auszutauschen, alle ziehen an einem Strang – für mich. Der Schlafmediziner stellt mir viele Fragen und instruiert mich über einen Aktigraphen, ein Messgerät fürs Handgelenk, das während zweier Wochen meine Bewegungen aufzeichnen wird. Zudem werde ich protokollieren, wann ich ins Bett gehe und welche Note ich meinem Schlaf der letzten Nacht gebe.

14. Juli

Das Schlafprotokoll hat bestätigt: mein Schlaf ist zu kurz und wird oft unterbrochen. Jetzt hat mir der Schlafmediziner ein Polygraphiegerät mitgegeben. Es ist ein «Schlaflabor für zu Hause». Dessen Daten hat eine Neurologin ausgewertet: Atemaussetzer können als Grund für meine Schlafstörung ausgeschlossen werden, auch andere körperliche Ursachen. Der schlechte Schlaf hat psychische Gründe: eine erhöhte Grundanspannung, innere Unruhe.

20. Juli

Mein Zustand hat sich rapide verschlechtert. Darum lädt meine Psychologin zum Runden Tisch. Mein Mann und ich sind da, von ZURZACH Care meine Psychologin und der Case Manager. Wir diskutieren über eine Intensivierung der Behandlung. Im einen Moment möchte ich davonrennen, im anderen all die Menschen hier aus Dankbarkeit umarmen.

21. Juli

Das schlechte Gewissen meiner Familie gegenüber ist grauenhaft. Die Angst und das Chaos – alles wegen mir! Ich brauche Abstand. Darum habe ich mich für eine stationäre Behandlung in der Rehaklinik Braunwald von ZURZACH Care entschieden. Meine Psychologin meldet mich an.

8. August

Wie befreiend, in Braunwald zu sein! Mein Psychologe hier und ich haben meinen persönlichen Trainingsplan erarbeitet, mit Einzel- und Gruppentherapien, Musik- und Kreativtherapien, Physio- und Ergotherapien. Daneben verbringe ich viel Zeit im Fitnesscenter, im Pool, in der Sauna, beim Wandern und beim Plaudern mit anderen Patienten. Im Fokus steht die Stressbewältigung, mein Schlüssel zu mehr Lebensqualität. Ich muss meine Ressourcen wiederentdecken, die Ansprüche an mich selbst drosseln und Entspannungsübungen trainieren. 

18. August

Heute habe ich entschieden, doch ein leichtes Antidepressivum zur Stabilisierung und Schmerzdistanzierung auszuprobieren.

19. August

Erstmals seit Monaten spüre ich etwas unter meinen Füssen. Es könnte Boden sein.

30. August

Ich hatte mit meinem Psychologen in Braunwald entschieden, dass ich die Klinik nach drei Wochen verlassen und die Therapie ambulant am SSP in Zürich weiterführen würde. Heute, zurück bei meiner Psychologin am SSP, arbeite ich nahtlos an jenen Themen weiter, die mich in der Rehaklinik beschäftig haben.

2. September

Es gelingt mir immer besser, die Perspektive zu wechseln und die Schmerzen im Handgelenk von aussen zu betrachten. Er verschwindet dann nicht, verliert aber seinen Schrecken. Auch die erlernten Entspannungsübungen helfen mir. In Stresssituationen kann ich einen klaren Kopf bewahren. Nicht immer, aber immer häufiger.

9. September

Ich bin in regem Austausch mit meinem Case Manager von ZURZACH Care. Er steht mir auf meinem Weg zurück in den Job zur Seite, spricht sich mit meiner Psychologin am SSP ab und ist an den Gesprächen mit meinem Arbeitgeber dabei. Unser aller Ziel: dass ich im privaten und beruflichen Leben wieder Fuss fasse und so standhaft werde, dass es nicht noch einmal zu einem Ausfall kommt. Wir beschliessen, dass ich langfristig nur noch 60 Prozent arbeiten werde. Los geht es mit 30 Prozent. Schon nächste Woche!

8. November

Wir haben mein Pensum sukzessive erhöht. Jetzt arbeite ich 60 Prozent. Das Case Management ist beendet. Auch meine Psychotherapie steht kurz vor dem Abschluss. So fühlt sich Zuversicht an. Ich hatte es schon fast vergessen.

5. Dezember

Ich bin zurück im Leben. Nicht mit Vollgas – das will ich auch gar nicht mehr. Und auch nicht schmerzfrei. Aber ich kann mit dem Schmerz umgehen, schlafe meistens durch und weiss mir in Stresssituationen zu helfen. Und bin gelassener und habe wieder Kraft, meine Söhne beim Fussball anzufeuern. Direkt am Spielfeldrand!

* Milena Jenni ist eine fiktive Person.


Ein Zentrum für Schmerz, Schlaf und Psyche

Patiententagebuch_Box

Fachpsychologin für Psychotherapie Daniela Oberholzer vom SSP-Team im Gespräch mit einer Patientin.

Um den Patienten, der mit leerem Blick und wippenden Beinen im Warteraum sitzt, kümmert sich der Chef gleich persönlich – jetzt ist Geduld und ein feines Gespür gefragt. Dr. Ingmar Schenk, Psychiater und Psychotherapeut sowie Standortleiter des Zentrums für Schmerz, Schlaf und Psyche (SSP) in Zürich, hat beides. Zwei Wochen später wird er eine komplexe Diagnose stellen: depressive Episoden, Diabetes, Adipositas und eine Versorgungsstörung mehrerer Nerven (Polyneuropathie), die dem Patienten erhebliche Schmerzen in den Beinen bereitet. Der 50-jährige Patient lebt allein, ist seit Jahren arbeitslos. Ein harter Fall. Und doch wird er ein Jahr später nach einer intensiven ambulanten Betreuung am SSP wieder einer regelmässigen Arbeit nachgehen können. Er ist einer von über 200 Patientinnen und Patienten im SSP.

Das SSP in Zürich eröffnete im Frühling 2022 als schweizweit erstes Zentrum seiner Art. Acht Fachkräfte, darunter Psychiater und Psychotherapeutinnen, Orthopäden, Psychologinnen und Neurologen bilden ein hochspezialisiertes, interdisziplinäres Team. Ziel ist eine optimale interdisziplinäre und interprofessionelle Betreuung und Behandlung von Patienten mit komplexen Krankheitsbildern: Migräne, Schlaflosigkeit oder Trauma, aber auch Depression, Burnout oder einfach nur Prüfungsangst und Lernschwierigkeiten. Das ambulante Zentrum ist der stationären Rehabilitation an Standorten von ZURZACH Care vor- oder nachgelagert; viele Patientinnen und Patienten besuchen das SPP aber auch aus eigenem Antrieb oder werden von ihren Hausärztinnen und -ärzten zugewiesen.